Ord Om ordet

Marian Mystery

Homily given at the June convention of the Fatima Prayer Centre in Büren.

Gen 3.9-20: Wo bist du?
Joh 19.25-27: Siehe, deine Mutter!

Unsere Lesung aus dem Buch Genesis beschreibt die Konsequenz des Sündenfalles. Man könnte meinen, eine solche Geschichte hätte unserer Zeit nichts zu sagen. Wer denkt überhaupt mehr an Sünde? Die katholische Kirche, hört man manchmal sagen, sei zu lange von der Idee der Sünde besessen gewesen; sie habe dadurch den Menschen Lasten von Schuldgefühlen aufgebürdet; und sei so verantwortlich für eine Verdrehung des Glaubens, der ja für Leben, Freude, Offenheit und Heiterkeit stehen müsse. Also weg mit dem Sündengerede! Lassen wir lieber bunte Drachen des Optimismus in die Luft steigen! 

Was sollen wir dazu sagen? Ich denke spontan an Worte des nachdenklichen Konsuls in Puccinis Oper Madama Butterfly. Wenn Pinkerton, der naive Schurke, von seiner Zukunftsvision spricht, einer Projektion von Glück der dem eigenen Verlangen rücksichtslos entspricht, sagt der Konsul: “Das ist aber ein zu einfaches Evangelium!”

Leben aber ist selten einfach. Leben ist schwer. Der Glaube hilft uns, ehrlich mit der Schwierigkeit umzugehen, nicht indem er sie wegzaubert; sondern in dem er uns hilft, Ursachen zu erkennen und dadurch Lösungen, Wege in die Freiheit, in den Frieden. 

Sünde hat nicht hauptsächlich mit Schuld zu tun. Sünde steht für eine Wunde, die uns Verhältnisse sabotiert, die uns fesselt und vereinsamt. Der biblische Text beschreibt den Vorgang dichterisch, realistisch und luzid. Was tut der Urmensch nachdem er gesündigt hat? Was tut der für ewiges Leben geschaffene nachdem er, bewusst, dem Weg folgt der ihn in den Tod führt?

Er versteckt sich schamrötend, will nicht gesehen werden. Die Scham wird ihm nicht von Gott auferlegt. Nein! Gott ruft ihn zurück in die Beziehung: “Adam, wo bist du?” Die Scham kommt von selbst. Sie drückt eine Überzeugung aus, die uns vielleicht nicht ganz fremd ist. Sie lässt uns denken: “Würde jemand wissen, was ich in meinem Leben gemacht oder gedacht habe, würde mich jemand sehen wie ich bin, dann würde er vor mir meilenweit fliehen!” So verschanze ich mich lieber, wie Adam im Wald oder hinter einer Maske. Es scheint besser, sicherer, mich selbst zu isolieren als die gefürchteten, erwarteten Worte zu hören: “Ich will nichts von dir wissen!”

Die Entfremdung des Menschen vom Schöpfer spiegelt sich in der Entfremdung zwischen Mann und Frau. Ursprünglich fanden die beiden im anderen Wonne. Erst als Adam von Eva gesehen wurde und sich selbst in ihrem Blick erkannte, überwand er sein Gefühl von Unvollständigkeit. Der Mensch ist nicht grundsätzlich autonom und autark, nicht sich selbst genügend. “Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist” (Genesis 2.18). Die Sünde drängt ihn aber in die Einsamkeit. Nackt und verwundbar steht er da, ob er auch alles Mögliche tut um sich selbst und anderen ein Bild der Stärke und des Muts zu projizieren. 

Gott ist Mensch geworden um diese existentielle Wunde zu heilen. Das Wort ist im Leib einer Jungfrau Fleisch geworden nicht nur um Schulden zu regeln: reduzieren wir sein werk nicht aufs Kalkül. Der allmächtige Vater hat in Christus durch den Geist die Menschennatur neu erstellt. Der Leib Mariens öffnet wieder das vom lodernden Flammenschwert bewachte Tor des Edens so dass der Herr, wenn alles vollbracht ist, ausrufen kann: “Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!”

Wunderbar ist es, dass er kurz davor seiner Mutter sagt: “Siehe!” Dann dem geliebten Jünger: “Siehe!” Die Szene ist kein bloß sentimentales Bild; sie enthielt eine theologische Aussage. In Maria erkennt die Kirche die neue Eva, die deren schönen Namen verwirklicht: endlich, nach tausendjährigem Warten, wird der in Christus neu geborene Mensch im wahren Sinne ein Lebendiger, nicht nur jemand, der ein Weilchen in dieser Welt überlebt, sondern des ewigen Lebens fähig ist. In Johannes sieht die Kirche ein Bild von sich selbst, “für das Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils” (Lumen Gentium 9). Im begnadeten Schatten des Kreuzes, wovon Herrlichkeit strahlt, dürfen sich Mann und Frau, die Menschheit symbolisch wiedervereint, sich wieder frei anschauen, ohne Furcht, ohne Scham, ohne ambivalente Begierde, in Dankbarkeit und mit freudigem Staunen. Denn der Kreuzstamm an dem das wahre Opferlamm geschlachtet wurde ist zugleich der Baum des Lebens. Durch ihn wird dem Menschen wieder ein würdiges Dasein ermöglicht und die Traurigkeit der Sünde verdrängt. 

Deswegen ist die Feier die wir nun begehen wesentlich. Wir verehren die Gottesmutter nicht nur aus privater Devotion: wir bekennen dass wir, durch sie, zum neuen Leben berufen sind jenseits der Begrenzungen des Todes, von der Macht der Sünde befreit. Um unsere Rückkehr aus tödlicher Knechtschaft in die Freiheit geht es wesentlich. “Zur Freiheit hat uns Christus befreit” (Gal 5.1). Er lehrt uns was es heißt, gottähnlich zu leben – in Anbetung und zuverlässiger Hingabe, bereit zur Freundschaft, zu grosszügigem Dienen, zum liebevollen Opfer.

Hören wir dann auf damit, uns vor Gott zu verstecken! Kommen wir aus dem Gebüsch hinaus in seine Gegenwart. Er wartet auf uns “gnädig, langmütig, reich an Huld” (Ps 103.8). Maria, die vom Sündengewicht nicht niedergedrückte, zeigt uns wie das menschliche Nein! zu Gott in ein lebensspendendes Ja! verwandelt wird. Mögen wir leben, durch ihr Beispiel, auf Ihre Fürsprache, liebend, frei, glaubwürdig und furchtlos sehend, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.

Annunciation from the fifteenth-century Merode Altarpiece, now in the Met Cloisters.